Mittwoch, 11. April 2012

Sam Hawken, Die toten Frauen von Juárez

Hintergrund
Ganz im Norden des mexikanischen Bundesstaates Chihuahua liegt die Stadt Juárez. Ihre Lage an der Grenze zu den Vereinigten Staaten und die Verbindung mit El Paso, hat nicht nur dafür gesorgt, dass sich Maquiladoras in der Region ansiedeln. Auch das Verbrechen ist allgegenwärtig und sorgt dafür, dass die Stadt eine der höchsten Kriminalitätsraten im ganzen Land aufweist. Weiterhin hat sie seit Mitte der 90er Jahre durch eine Vielzahl von Frauenmorden eine traurige Berühmtheit erlangt. In mehreren Filmen und Liedern wurde das Thema angesprochen und auch Amnesty International setzt sich, gemeinsam mit lokalen Organisationen, für die über 400 vermissten Frauen ein und kämpft dafür, dass die Mörder von ebenso vielen toten Frauen gefunden werden. Sie werden jedoch massiv an ihrer Arbeit gehindert.

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In Ciudad Juárez im Bundesstaat Chihuahua sind die Kriminalitätsrate und die Straffreiheit extrem hoch, dazu zählt auch die Gewalt gegen Frauen. Die kommunalen und bundesstaatlichen Behörden versagen fortwährend, wenn es darum geht, die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und die Sicherheit gefährdeter Frauen zu verbessern. Frauenrechtsorganisationen setzen sich seit vielen Jahren für Gerechtigkeit und Sicherheit für Frauen ein und haben einige Einrichtungen für Frauen ins Leben gerufen, so dass Überlebende von Gewalt an sicheren Orten medizinische und psychologische Unterstützung erhalten können. Vertraulichkeit und eine sichere Unterbringung in diesen Einrichtungen sind grundlegende Voraussetzungen, um die Sicherheit der Frauen und Mitarbeiterinnen zu garantieren.
(Quelle: www.amnesty.de)
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Diese reale Bedrohung hat Sam Hawken aufgegriffen und in seinem Roman verarbeitet.

Inhalt
Der etwas abgearbeitete und mittlerweile 30-jährige Boxer Kelly Courter musste aus den Vereinigten Staaten fliehen und lebt seit einigen Jahren in Juárez. Dort verdient er sich seinen Unterhalt mit Boxkämpfen, bei denen er eigentlich nur einen lebenden Sandsack spielt, und kleinen Drogengeschäften. Er hat schon lange nicht mehr richtig trainiert und durch die vielen Prügeleien ist sein Körper lädiert. Nicht nur seine Freundin Paloma wünscht sich, dass er endlich mit den Kämpfen aufhört. Auch ihr Bruder und Kellys bester Freund Estéban möchte, dass seine Schwester einen gesunden und gut aussehenden Mann heiratet. Gleichzeitig ist Estéban aber auch derjenige, der den Boxer für illegale Drogengeschäfte vereinnahmt und ihn mit Stoff versorgt. Als sein Leben wieder einmal aus den Rudern läuft und eine zweite Chance als ernsthafter Boxer aussichtslos erscheint, greift Kelly nach langer Zeit erneut zu Heroin und driftet für einige Tage in eine völlig andere Welt ab. In dieser Zeit verschwindet Paloma, die in einer Organisation gearbeitet hat, welche sich um die Aufklärung der Frauenmorde und der Entführungen kümmert. Sofort fällt der Verdacht auf das Drogenopfer Kelly, der nicht einmal mehr weiß, wo er die letzten Tage wirklich gewesen ist. Einzig der Polizist Rafael Sevilla glaubt an seine Unschuld und versucht, die wahren Täter ausfindig zu machen.

Meinung
Auf den ersten 150 Seiten schafft es Hawken eine grandiose Szenerie zu entwerfen, die den Leser nahezu verschlingt. Man fühlt die heiße Sonne im Nacken und hat das Gefühl, dass die Gefahr an jeder Ecke lauert. Gleichzeitig freut man sich aber mit dem Protagonisten über jede noch so kleine positive Erfahrung und ist versucht ihm Glück zu wünschen. Wenn er dann aber kopflos handelt, könnte man ihn verfluchen oder würde ihm am liebsten eine Backpfeife erteilen. Als Paloma verschwindet, könnte man dann nur noch kreischen über diese Ungerechtigkeit.
An diesem Punkt verändert sich nicht nur Kelly, sondern auch das Buch. Es gibt Sprünge zwischen den Personen und innerhalb verschiedener Zeitebenen. Ich fand diesen Aspekt, gerade in Kombination mit der Kürze der einzelnen Kapitel, sehr bereichernd und spannend. Wer allerdings klare Strukturen mag, der wird ab hier etwas verwirrt sein und die Lust am Lesen vielleicht sogar verlieren. 
Der Autor hat außerdem in der ersten Hälfte des Werkes sehr ruhig den Handlungsrahmen aufgebaut. Die darin nun stattfindenden Handlungen verlaufen sehr rasant. Zwischendurch hatte ich den Gedanken, dass es ruhig 300 zusätzliche Seiten geben könnte und dafür einige Dinge ausführlicher beschrieben und erklärt werden sollten.
Gleichwohl zeigt die sprachliche Raffinesse und der Aufbau der Spannung, dass in Sam Hawken eine Menge Potenzial steckt. Er schafft es zum Beispiel sehr ausgewogen Umgangssprache und literarische Sprache miteinander zu verbinden. Seine Figuren wirken dadurch auch nicht konstruiert und ihre Gefühle und Meinungen sind nachvollziehbar und ganz natürlich.
Letztendlich hat er hervorragende Recherchearbeit geleistet und viele Aspekte, die man nur kennt, wenn man sich stärker mit dem Thema befasst, aufgegriffen und raffiniert in die fiktive Geschichte eingeflochten.

Fazit
Ein sehr empfehlenswertes Buch mit einigen Eigenarten, aber viel Potenzial!

 
Roman
Aus dem Englischen von Joachim Körber (Orig.: The Dead Women of Juárez)
1. Aufl. 2012, 

317 Seiten, 
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50212-1 

19,95 EUR


Link zur Verlagsseite 

Die Ecken und Kanten sind so sympathisch, dass ich in allen Kategorien 5 Punkte vergebe :-)
 

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