Sonntag, 13. Mai 2012

Rachel Joyce, Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

- Die Welt bestand aus Menschen, die einen Fuß vor den anderen setzten, und vielleicht kam einem das Leben eines Menschen gewöhnlich vor, nur weil er sehr lange genau das getan hatte: einen Fuß vor den anderen zu setzen. -

Harold Fry führt mit seiner Frau Maureen ein normales und sehr englisches Leben. Gemeinsam wohnen sie etwas zurückgezogen in ihrem kleinen Haus in Südengland. Schon seit Jahren reden sie nicht mehr sonderlich viel miteinander. Und ihre gemeinsamen Aktivitäten halten sich auch in Grenzen. Maureen putzt leidenschaftlich gern das saubere Haus und sorgt für die tägliche Dosis liebevoller Strenge. Am Abend gehen beide in ihre getrennten Zimmer. Jeden Tag ist der Ablauf gleich und ein Ende, selbst ein natürliches, scheint nicht in Sicht zu sein. Ein sonderbarer Brief kann diese nahezu mumienhafte Ruhe auch nur kurzfristig stören. Eine alte Kollegin hat Harold angeschrieben und möchte sich bei ihm verabschieden, obwohl sie sich zwanzig Jahre nicht gesehen haben. Sie ist an Krebs erkrankt und eine Heilung ist ausgeschlossen. Zunächst ist Harold von dem Brief überwältigt und tausende kleine und eher verschwommene Erinnerungen kommen in ihm hoch. Als er endlich ein paar wenige Worte gefunden hat, geht er zu dem nächsten Briefkasten. In Gedanken versunken geht er immer weiter und redet sich selbst ein, dass der Brief so einen größeren Wert erhält. An einer Tankstelle möchte er etwas essen und trinken, lernt aber ganz nebenbei eine junge Verkäuferin kennen. Er zählt ihr von der ehemaligen Arbeitskollegin Queenie Hennessy und der Krebserkrankung. Die junge Frau hatte auch eine Tante, die an Krebs erkrankt war und der es half, an etwas zu glauben, das ihr Kraft gibt. In diesem Moment entscheidet Harold, dass er nicht nur einen Brief schicken kann. Nein, er will Queenie persönlich gegenüberstehen und beschließt die gesamte Strecke bis an die schottische Grenze zu laufen. Ohne besondere Ausrüstung und mit einer schlechten Kondition macht sich der Rentner auf den Weg in das Hospiz. In 87 Tagen läuft er über 1000 Kilometer und lernt unzählige Menschen kennen, die mit ihm Essen, Trinken, einen Stück des Weges und einen Teil ihres Lebens teilen. Er sieht Leid und Trauer ebenso, wie Liebe und Hoffnung. Er möchte mehrmals aufgeben und erlebt dann doch wieder ein kleines Alltagswunder, das ihm Kraft gibt. Und so begibt er sich nicht nur auf eine Reise  quer durch England, sondern auch quer durch sein Leben und seine Vergangenheit. Gefühle, Bilder und Klänge scheinen ihn zunächst zu quälen. Letztendlich findet er aber so auch zu sich und seinem Leben zurück.

Für mich ist es schwer, die richtigen Worte für dieses Buch zu finden. Rachel Joyce schreibt so ungezwungen und leicht, dass es von der ersten Seite ein wahres Lesefeuerwerk ist. Dabei ist die Sprache auf einem so guten Niveau, dass man vor Freude kreischen könnte. Verständlich, poetisch, bildhaft und gleichzeitig spannend. Welcher Autor schafft solch ein wunderbares Wortpotpourri zu erschaffen? 
Gleich zu Beginn ergreift die Geschichte von dem Leser Besitz und hüllt ihn trotz dramatischer Ereignisse in eine wattierte Lesewelt, in der man sich einfach wohlfühlen muss. Man sitzt praktisch in einem vollklimatisierten Bus, der mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet ist und gibt sich ganz dem Voyeurismus hin. Der alte Harold Fry quält sich, ängstigt sich und zweifelt. Wir sitzen daneben und streicheln ihn heimlich wie ein kleines Zootier. Gleichzeitig vermittelt er uns aber auch solche wunderbaren Lebensweisheiten, dass wir am liebsten aufspringen und etwas Gutes tun möchten. Raus hier, weg mit dem ganzen überflüssigen Kram. Wo ist das richtige Leben? Was ist wirklich wichtig? Die wunderbar konstruierte Umgebung, die lebendigen Charaktere und die Lebensgeschichte des Protagonisten stellen dem Leser immer wieder solche Fragen. Ganz leise und still werden uns aber auch die Antworten gegeben. Liebe, Mut und Kraft sind wichtige Essenzen für ein erfülltes Leben, das nicht immer gradlinig verläuft, aber trotzdem an ein Reiseziel gelangen wird.

Fazit: Grandios! Unbedingt lesen, lachen, weinen und anstecken lassen!


Hardcover
Preis € (D) 18,99 | € (A) 19,60 | SFR 27,50
ISBN: 978-3-8105-1079-2
voraussichtlich ab dem 16. Mai 2012 im Buchhandel
 

Genau wie Harold wird jetzt auch mein Buch auf die Reise gehen!

2 Kommentare:

  1. Wow, das klingt ja toll. Ich freue mich für Dich, dass Dich die Geschichte so begeistern konnte!

    LG Svenja

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  2. Svenja, hast du vielleicht doch Zeit? Du musst es auch nicht unbedingt in zwei Wochen schaffen.

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